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16. Juni 2025

„Auf Augenhöhe kann man viel erreichen“

Interview mit Andreas Unterrieder, Regionalsekretär des ÖGB im Bezirk Spittal.

Interview von Harald Angerer

ÖGB-Regionalsekretär Andreas Unterrieder in seinem Büro in der Spittaler Lutherstraße – Ansprechpartner für über 10.000 Mitglieder im Bezirk.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund feiert heuer 80 Jahre. Was macht den ÖGB aus?

Der ÖGB wurde kurz vor der Gründung der Zweiten Republik ins Leben gerufen – mit dem Ziel, sich überparteilich für die Rechte der Arbeitnehmenden einzusetzen. Damals waren ÖVP, SPÖ und auch die Kommunisten beteiligt. Schon 1955 hatte der ÖGB über eine Million Mitglieder.

Wie ist der ÖGB im Bezirk Spittal organisiert?

Die regionale Struktur entstand erst später. Spittal ist aufgrund seiner Größe eine eigene Region, während Hermagor und Villach-Land zusammengefasst sind. Wir sind eine Servicestelle und betreuen unsere Mitglieder direkt im Bezirk – bei fast allen Anliegen versuchen wir zu helfen. Was wir nicht direkt lösen können, geben wir ins Netzwerk weiter. Dank unserer Betriebsräte können viele Probleme direkt im Betrieb – oft auch außergerichtlich – gelöst werden.

Welche Rolle spielt der ÖGB konkret in der Region?

Wir sind die Dachorganisation der Gewerkschaften. Wir koordinieren die Fachgewerkschaften und vertreten Arbeitnehmerinteressen – etwa im AMS. Auch auf Baustellen sind wir präsent, denn Spittal ist stark vom Bau geprägt.

In welchen Betrieben ist die Gewerkschaft besonders stark vertreten?

Vor allem dort, wo es Betriebsräte gibt, sind wir gut aufgestellt. Beispiele sind Hasslacher, das Krankenhaus Spittal, Kärntnermilch, APC, Hellmerich, Strabag oder SeneCura. Ab fünf Beschäftigten kann ein Betriebsrat gegründet werden – aber das muss von den Mitarbeitenden ausgehen. Wir unterstützen das aktiv.

Gibt es noch genug Menschen, die sich für andere einsetzen wollen?

Das wird schwieriger. Wir sehen in vielen Bereichen eine zunehmende Ich-Mentalität. Aber wenn sich ein Betriebsrat etabliert hat und mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe zusammenarbeitet, profitieren meist alle davon. Gerade in der Corona-Zeit hat sich gezeigt, wie viel einfacher es mit Betriebsräten geht – statt hunderte Einzelvereinbarungen zu unterschreiben, gibt es eine einheitliche Lösung.

Wie ist die Mitgliederentwicklung im Bezirk Spittal?

Wir haben rund 10.000 Mitglieder im Bezirk, darunter etwa 2.000 Pensionist*innen und ca. 300 Betriebsräte. In den letzten Jahren war die Entwicklung stabil – mit leichten Schwankungen. In konjunkturell starken Phasen gewinnen wir mehr Mitglieder. Die Jugend zu erreichen, ist heute allerdings eine größere Herausforderung.

Ist der ÖGB in der Öffentlichkeit präsent genug?

Wir sind überparteilich, aber nicht unpolitisch. In einer Zeit, in der Populismus zunimmt und mit der Wahrheit oft locker umgegangen wird, bleiben wir sachlich. Das wirkt manchmal leise – ist aber glaubwürdig. Natürlich hat die Wirtschaft besseren Zugang zur Öffentlichkeit. Aber für die Interessen der Vielen brauchen wir auch die Unterstützung der Vielen.

Wo kann man den ÖGB konkret antreffen?

Idealerweise im Betrieb – über Betriebsräte. Wir sind auch direkt vor Ort auf Baustellen unterwegs und beraten dort. Das direkte Gespräch ist nach wie vor unser wichtigstes Instrument.

Was macht der ÖGB neben Kollektivvertragsverhandlungen?

Ein großer Bereich ist die Sozialberatung – etwa zu Pensionen, Pflegegeld oder Klagen gegen Bescheide. Wir helfen bei Antragstellungen und zeigen Vor- und Nachteile auf. Besonders wichtig ist: Ab 55 sollte man seine Pensionszeiten kontrollieren. Auch Auslandszeiten müssen im Versicherungsverlauf korrekt erfasst sein. Unsere Erstberatung ist für alle kostenlos – unabhängig von einer Mitgliedschaft.

Ist die Gewerkschaft auch in Zukunft ein Erfolgsmodell?

Absolut. 97 % der Arbeitsverhältnisse in Österreich sind über Kollektivverträge geregelt – das ist in Europa einzigartig. Der ÖGB hält rund 1.000 Kollektivverträge, jedes Jahr werden etwa 500 neu verhandelt. Das ist unsere zentrale Aufgabe – und sie bleibt auch in Zukunft enorm wichtig.

Infobox:

Wichtige Errungenschaften des ÖGB

1957: Mutterschutzgesetz

1959: Arbeitszeitverkürzung auf 45 Stunden

1969: Einführung der 40-Stunden-Woche

1983: Anspruch auf fünf Wochen Urlaub

2019: Anrechnung der Karenzzeiten